09.08.2022

„Tragen ist ein Grundbedürfnis“

Hebamme Stephanie Filshteyn ist eine von zwei Trageberaterinnen im CaritasKlinikum Saarbrücken

„Man kann nie zu viel tragen. Tragen hat nichts mit Verwöhnen zu tun, weil Tragen ein Grundbedürfnis ist.“ Diese Sätze klar und deutlich zu machen ist Stephanie Filshteyn ein besonderes Anliegen. Denn immer wieder erlebt sie Verunsicherung und Ängste rund um das Thema Tragen von Babys und Kleinkindern: „Kinder wurden schon immer getragen, bereits aus der Steinzeit gibt es darüber Aufzeichnungen. Leider bekommen viele Frauen – besonders von älteren Generationen – ein schlechtes Gewissen gemacht, zum Beispiel den Vorwurf sie würden ihre Kinder verwöhnen. Und es herrscht leider noch ein weit verbreiteter Irrglaube, dass der Rücken gerade liegen muss. Das Gegenteil ist aber der Fall.“


Stephanie Filshteyn ist Hebamme im CaritasKlinikum Saarbrücken und ausgebildete Trageberaterin. „In den ersten Lebensmonaten muss man ein Baby sowieso sehr viel tragen, da ist es auch eine Entlastung für die Eltern, wenn man eine passende Tragehilfe zum Einsatz nimmt. Es ist rückenschonend für den Tragenden und man hat beide Hände frei – das ist Gold wert“, sagt die 34-Jährige. „Zudem fördert es die geistige Entwicklung und die Bindung zwischen den Eltern und des Kindes. Und es beugt Bauchschmerzen vor. In Ländern, in denen überwiegend getragen wird, sind Drei-Monats-Koliken wie bei uns weitgehend unbekannt.“


Ihr Wunsch, Hebamme zu werden, kam bei Stephanie Filshteyn, als sie mit 17 noch einmal Schwester wurde. „Ich habe die Schwangerschaft meiner Mutter intensiv begleitet und durfte sogar bei der Geburt dabei sein. Das hat mich total fasziniert. Aber damals war es schwer einen Ausbildungsplatz als Hebamme zu bekommen.“ Also machte die aus der Eifel stammende junge Frau zunächst eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an einem Krankenhaus in Trier. „Das hat auch viel Spaß gemacht, aber als ich dann die Zusage vom Caritas SchulZentrum in Saarbrücken bekam, war klar, dass meine Leidenschaft weiterhin dem Hebammenberuf gilt.“


Schon als Stephanie Filshteyn während der Ausbildung im Externat eine freiberufliche Hebamme begleiteten durfte, wurde ihr die Wichtigkeit des Tragens bewusst. Also machte sie 2016 eine Fortbildung zur Trageberaterin. „Dort lernt man nochmals ausführlicher alles zur Anatomie und worauf man beim richtigen Tragen achten muss: Der Rücken muss immer rund sein, weil die Wirbelsäule ebenfalls gerundet ist. Man sollte nie mit dem Gesicht nach vorne tragen, auch wenn das immer wieder auf Bildern suggeriert wird. Bei der Anhock-Spreiz-Haltung sind die Knie auf Bauchnabelhöhe des Kindes und der Po ist der tiefste Punkt. Das unterstützt die Entwicklung der Hüfte. Das Kind sollte weit oben und nah am Körper getragen werden.“ Und sie ergänzt mit einem Lächeln: „Man braucht keine Angst haben, dass man ein Kind zu festbindet. Wenn man sich selbst noch wohl fühlt, dann ist alles in Ordnung.“


Stephanie Filshteyn ist eine von drei Hebammen, die Geburtsvorbereitungskurse im Rahmen der Elternschule am CaritasKlinikum leitet. „Am Ende des Kurses spreche ich immer über das Wochenbett und da ist auch das Tragen ein Thema.“ Sie bemerkt in den letzten Jahren ein zunehmend steigendes Interesse bei den werdenden Eltern. 80 Prozent der Familien haben irgendeine Trage zuhause – sei es, weil sie sie geschenkt oder geliehen oder selbst gekauft haben. „Aber es gibt leider auch schlechte Tragehilfen auf dem Markt“, so Filshteyn. „Ein Tuch ist am ergonomischsten, viele haben aber Angst oder sind skeptisch, weil sie nicht wissen, wie sie es binden sollen. Dann sage ich immer: Lieber eine gute Tragehilfe, die dann auch benutzt wird, anstatt das beste Tuch, das in der Ecke liegt.“


Inzwischen hat die 34-Jährige selbst eine Familie gegründet und ist im Saarland sesshaft geworden. „Wie das so ist: Wegen des Jobs gekommen – wegen der Liebe geblieben“, sagt sie lachend. „Ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier.“ Bereits nach der Ausbildung fing sie an, freiberuflich Mütter zu begleiten und genießt die Kombination von Krankenhaus-Tätigkeit und Selbständigkeit. „Auch in meiner freiberuflichen Tätigkeit berichte ich immer von den Vorteilen oder leihe gerne verschiedene Tragen aus. Es kontaktieren mich auch immer wieder Familien für eine Trageberatung zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ein Kind zum Beispiel zu schwer wird und man auf eine andere Tragehilfe oder eine andere Technik wechseln will.“


An eine Begebenheit erinnert sie sich besonders gern zurück: „Mich hatte eine Frau angerufen für eine Tragetuchberatung. Sie war sehr verunsichert und Tante war dabei und hat jeden Satz kommentiert und in Frage gestellt. Ich musste mich permanent rechtfertigen – das hat mir für die junge Mutter sehr leidgetan. Fünf Jahre später habe ich sie dann zufällig wieder getroffen. Nicht nur hatte sie ihre Kinder mit viel Freude getragen – sie hatte sogar selbst zwischenzeitlich eine Ausbildung zur Trageberaterin gemacht, weil sie so überzeugt war.“


Ihre eigenen Kinder, die vierjährige Tochter und den knapp zweijährigen Sohn, hat Stephanie Filshteyn selbstverständlich auch getragen. „Und zwar vom ersten Tag an“, sagt sie mit Nachdruck. „Alles, was ich gelernt habe, hat sich bestätigt. Meine Tochter hat zum Beispiel im Kinderwagen immer nur geweint – im Tuch war sie dann glücklich und zufrieden. Rückblickend ist es auch total praktisch, denn eine Trage kann man immer mal schnell mitnehmen, viel leichter als einen Kinderwagen.“ Da das Tragetuch für sie auch eine emotionale Bedeutung hat, hat ihr Sohn ein neues, eigenes bekommen. „Ich trage ihn manchmal immer noch. Und meine Tochter benutzt ihr Tuch jetzt als Hängematte.“

 

Text: Nele Scharfenberg
Fotos: Stephanie Filshteyn

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