Es begann mit Missempfindungen in den Beinen und Füßen, die sich Silke Bold nicht erklären konnte. „Ich lag nachts wach mit heißen, schmerzenden, unruhigen Beinen. Auf der anderen Seite fühlte ich teilweise gar keine Schmerzen mehr“, erinnert sich die 61-Jährige. Das war 2018. „Ich lebte monatelang in Ungewissheit, was mit mir passiert. Irgendwann befragte ich ‚Dr. Google‘ und bin auf die Polyneuropathie gestoßen.“
Ihr Arbeitsplatz entpuppte sich als Glücksfall für Silke Bold. Denn die Dillingerin ist Sekretärin des Chefarztes für Neurologie, Frank Maier, im CaritasKlinikum Saarbrücken St. Theresia. Der Mediziner bestätigte ihre Vermutung. „Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung des äußeren Nervensystems, bei der die Reizweiterleitung gestört ist“, erklärt Chefarzt Frank Maier. „Es ist tatsächlich eine recht verbreitete Erkrankung – etwa zwei Prozent der Bevölkerung leiden daran.“ Bei der Polyneuropathie werden Sinnesreize entweder gar nicht, vermindert oder verändert an das Gehirn gemeldet. Vor allem in den Extremitäten treten Empfindungsstörungen auf und Gleichgewichtssinn und Feinmotorik leiden. „Mit zunehmendem Alter werden Nerven ohnehin langsamer. Eine Polyneuropathie kann quasi eine Art vorzeitige Alterung der Nervenbahnen sein“, so Maier. Anders als bei Gelenkerkrankungen werden die Beschwerden im Ruhezustand oder nachts schlimmer. Weit verbreitet ist dabei das so genannte ‚Restless Legs Syndrom‘, unter dem auch Silke Bold leidet.
Die häufigsten Ursachen einer Polyneuropathie sind Diabetes oder chronischer Alkoholmissbrauch. Insgesamt sind aber über 200 verschiedene Auslöser bekannt und eine Diagnose kann schwierig und aufwändig sein, wenn typische Faktoren nicht vorliegen. „Dann muss man entweder ganz gezielt untersuchen oder über Ausschluss arbeiten“, so Maier. Nach einer klinischen Untersuchung können die Nervenbahnen gemessen werden und eine erweiterte Labordiagnostik durchgeführt werden. Als letzte Option werden manchmal eine Nervenwasseruntersuchung oder die operative Probeentnahme eines Nervs notwendig.
Bei Silke Bold führte sämtliche Ursachenforschung ins Leere. Die 61-Jährige ist körperlich fit, sportlich und ernährt sich gesund und ausgewogen. Auch andere Risikofaktoren waren nicht bekannt. Selbst Besuche in der Rheumatologie und einer Spezialambulanz im Universitätsklinikum brachten keine Erkenntnisse. „In solchen Fällen können nur die Symptome behandelt werden. Dann muss man rausfinden, was den Patienten am meisten belastet“, sagt Chefarzt Frank Maier. „Mit Medikamenten lassen sich zum Beispiel die Schmerzen lindern. Aber es muss immer wieder nachjustiert und ausprobiert werden.“ Bei Silke Bold verschlimmerte sich zum Beispiel Ende vergangenen Jahres der zustand – trotz Dauer-Medikation. „Die Schmerzen wurden stärker und ich litt unter massivem Schlafmangel“, erinnert sie sich zurück. Ein neues Medikament verstärkte zunächst die Symptome und führte zu extremen Nebenwirkungen. Inzwischen konnte sie die Situation mit einer neuen Kombination stabilisieren: „Aber es ist ein ständiges Fine-Tuning notwendig.“
Normalerweise wird eine Polyneuropathie ambulant behandelt – auch Silke Bold befinden sich in guter fachärztlicher Betreuung. Das ist wichtig, denn die Arzt-Patienten-Beziehung spielt eine große Rolle. Besonders schwer verlaufende oder akute Fälle finden aber den Weg ins CaritasKlinikum zu Chefarzt „Wir haben hier einen Schwerpunkt für Elektrophysiologie, um eine Polyneuropathie diagnostizieren zu können“, betont Frank Maier. „Wir führen auch Messungen für andere Abteilungen durch.“ Mit dem Spezial-Gerät konnte auch bei Silke Bold festgestellt werden, dass die Zeit, die ein Nerv benötigt, um den Reiz zum Muskel zu bringen, viel zu lang ist. „Manche Nerven sind bei mir schon gar nicht mehr vorhanden. Dadurch könnte es zum Beispiel passieren, dass ich nicht merke, wenn ich umknicke. Joggen im Wald oder hohe Schuhe sind also für mich inzwischen tabu, weil die Verletzungsgefahr zu groß ist.“
Aber die sympathische Powerfrau lässt sich davon nicht unterkriegen. Am Anfang war die Polyneuropathie für Silke Bold ‚ein großes Schreckgespenst‘: „Ich wusste ja nicht, wie es sich entwickelt und hatte bei uns in der Klinik auch schlimme Verläufe gesehen. Irgendwann kam bei mir aber der Punkt, an dem ich entschieden habe: Ich kann ja doch nichts an der Situation ändern, also nehme ich sie an. Manchmal muss ich mich nach der Krankheit richten, aber ich habe mich damit arrangiert und stelle dann meine Pläne entsprechend um.“
Von Familie, Freunden und ihrem gesamten Umfeld hat die dreifache Mutter viel Unterstützung erfahren. „Durch meine Arbeit im Krankenhaus habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich nicht zu vergraben, sondern offensiv mit seiner Erkrankung umzugehen. Im Austausch mit anderen Betroffenen und Experten gewinnt man dann immer nochmal neue Ideen und Einblicke und es hilft, mit der Situation besser umgehen zu können.“ Silke Bold lässt die Polyneuropathie nicht ihr Leben bestimmen – sie treibt weiterhin Sport, geht laufen und klettern und tanzt mit ihrem Mann Salsa. „Ich nehme dann halt andere Schuhen als früher, welche in denen ich mehr Halt habe. Aufgeben war für mich nie eine Option.“ Und sie ist froh, ihren Chef immer an ihrer Seite zu wissen.
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